Raumpatrouille 433

Space Opera von und mit John Cage

Wir brauchen die Vergangenheit nicht zu zerstören: sie ist fort;
jeden Augenblick könnte sie wiederkehren, Gegenwart scheinen und sein.
Wäre es eine Wiederholung?
Nur wenn wir dächten, wir besäßen sie, aber da wir´s nicht tun, ist sie frei
und wir ebenso. (John Cage, Vortrag über nichts)


Das Stück geht aus von John Cages konzeptueller Arbeit 4‘33‘‘, einer Partitur für einen oder mehrere Musiker, die für die Dauer von 4 Minuten und 33 Sekunden nicht spielen (in 3 Akten). Die musikalische Performance Raumpatrouille 433 konfrontiert auf essayistische Weise die Vergänglichkeit menschlicher Erinnerung sowie der Kunstform Theater mit Big Data, der zweifelhaften Utopie digitaler Datenspeicher als umfassendem Gedächtnis der Menschheit.

Im leeren Bühnenraum materialisiert sich aus dem Nichts ein Raumschiff mit seltsamen Wesen an Bord. Angeführt vom digitalen John-Dietrich-Avatar durchqueren sie Raum und Zeit und erleben aufregende Abenteuer. Eines davon werden wir mitverfolgen. Was der Plan hinter diesen Reisen ist, was der John-Dietrich-Avatar sucht und will oder ob er vielleicht gar nichts sucht und will, bleibt unklar. Auch die Crew weiß es nicht, macht sich aber so ihre Gedanken. Vielleicht ist es ein interstellares aleatorisches Kunstprojekt?

Aus der Spurensuche entsteht eine musikalische Untersuchung des Theaterraums mit Hilfe zweckentfremdeter Technologie. Unterbrochen von Werbespots zur digitalen Unsterblichkeit (zur Erstellung des Avatars wurde aus Kostengründen werbefinanzierte Freeware und Demo-Software benutzt), entfaltet sich eine performative Meditation über Gedächtnis, (digitale) Erinnerung, Rauschen und nichts.

Log your day!
Everyday! (Sony)


 

November 2016 im Theater Rampe, Stuttgart

Von und mit: Nina Malotta, Samuel Hof, Pedro W. Pinto, Folkert Dücker, Markus Birkle, Nils Meisel, Dietrich Kuhlbrodt, Markus Niessner, Antonia Beermann

Raumpatrouille 433 ist eine Produktion von O-Team in Kooperation mit dem Theater Rampe, gefördert vom Kulturamt der Stadt Stuttgart.

Presse:

Stuttgarter Nachrichten, 02.12.2016, Von Sabine Fischer

„Ich aktiviere Sicherheitsprotokoll 433“, scheppert eine Stimme aus dem Raumschiff, ein Countdown blinkt, und es passiert – nichts. Vier Minuten und 33 Sekunden lang bleibt es dunkel. Dann öffnet sich eine Luke, und die Raumpatrouille – vier Astronauten mit verzerrten Stimmen und weißen Raumanzügen – schlägt sich auf einer Seelensuche durch einen von jeglicher Kulturmaterie befreiten Nicht-Raum, in dem außer Tönen, Lichtern und einer pervertierten Form von Technik kaum etwas existiert: eine düstere Weltraumwüste.

Mehr…

Mit zögerlichen Schritten arbeiten sich im Theater Rampe nun die Astronauten durch den verödeten Bühnenraum, erkunden die Beleuchtung, die Schwingungen des Saals, die Beschaffenheit des Publikums. Und während sie sich so vorantasten, schaut man ihnen mit angespannter Verwunderung zu, bevor man sich irgendwann stirnrunzelnd fragt, wo das Ganze hinführen soll.

Denn auch die Handlung des vom O-Team inszenierten Stücks scheint während ihrer gut anderthalb Stunden nirgendwohin zu wollen. Immer wieder sondieren die Astronauten ihre Umgebung, immer wieder spuckt der existenzialistische Bordcomputer vage philosophische Lebensbetrachtungen aus. Was jedoch fehlt, ist ein Zielpunkt – und genau das ist die Idee: Mit ihrem Umhertapsen bricht „Raumpatrouille 433“ gezielt klassische Erwartungsmuster auf, die einem leise irritiert ins Ohr flüstern, dass nach A gefälligst B zu folgen hat. Doch statt stringenter Handlungspunkte bietet das O-Team eine Performance im stehenden Jetzt-Vakuum, in dem es nicht um Ambitionen, Selbstverwirklichung und das ewige Vorankommen geht, sondern um einen bis zur Unkenntlichkeit ausgedehnten Zustand.

Dieses erzwungene Stehenbleiben wird für den Zuschauer oft unangenehm. Die Soundcollage kratzt in den Ohren; die ständig durcheinanderstrahlenden Lichter brennen in den Augen. Ja, sie tut weh, diese berstend laute Stille. Doch irgendwann kristallisiert sich aus der Dissonanz ein Beat heraus, der den Nicht-Zustand in einen zum Kopfwippen anregenden Vier-Viertel-Takt zwängt. So ganz ohne Rhythmus geht es doch nicht, das Stück ist laut Programmheft schließlich eine „Space Opera“. Nur eben ohne Akte. Oder Handlung. Oder Oper.

Stattdessen ist „Raumpatrouille 433“ Effekttheater, das statt über Dialoge allein über Audio- und Lichteffekte funktioniert. Und gerade dieser doppelte Reiz verankert die Zuschauer dabei in der unausweichlichen Jetzt-Situation, bis es plötzlich intuitiv fragwürdig wird, ob es so etwas wie Weiter- oder Ankommen überhaupt gibt. [...]

Weniger…

Samuel Hof - Regisseur & Bühnenbildner